Mutig

Wenn ich mutig wäre



Wenn du heute nicht kommen willst, dann kommst du vielleicht morgen. Und wenn du heute nicht gehen kannst, dann gehst du eben bald. Und wenn ich mutig wäre, würde ich manche Brücken abbrechen und vielleicht an anderer Stelle neue bauen. Nur um zu schauen, wohin ich käme...am anderen Ufer, auf der anderen Seite. Vielleicht wäre ich schnell pleite, würde merken das Tinyhäuser mir doch nicht taugen, weil ich selten gleichzeitig unter der Dusche stehe, mir mit der Linken Shampoo aus den Augen wische und mit der rechten Hand die Spaghetti umrühre.

Wenn ich mutig wäre, würde ich Briefe schreiben, an die Welt und Gott. Vor allem an Gott. Dem hätte ich einiges zu sagen.

Zum Beispiel, ob er schon mal von Karma gehört hat, ob er Karma schon mal getroffen hat, würde ich fragen, und ihm sagen, dass ich’s ihm manchmal ganz schön gönnen würde. Warum sollen nur wir uns damit rumschlagen, wenn wir mal wieder mutig waren oder eben auch nicht, wenn die gebrannten Mandeln verklumpt, die Kinder zu zockenden Monstern mutiert sind oder der Hund sein Schweineohr auf dem Lieblingsteppich kaut.

Hey Gott, glaubst du an Karma? Glaubst du an mich oder an was überhaupt? Und wenn du heute nicht kommen willst, dann kommst du vielleicht morgen. Wenn du heute nicht gehen kannst, dann gehst du eben bald.

Und wenn ich mutig wäre, würde ich nachts Schneemänner auf dem Feld bauen, ihnen Geschichten von Schneeweißnicht und Dosenbrot erzählen und dass das genau so ist mit den Bären und Prinzen, und dass am Ende alles gut wird. Dann würde ich lachen und gehen.

Schneemänner...was wissen die schon... die Leben glücklich bis ans Ende der Regentage.

Wenn ich mutig wäre, würde ich umziehen in einen Leuchtturm auf einer Felseninsel und Tag ein Tag aus beobachten wie mein Fokus sich dreht. Vielleicht wäre dann mein Fokus für irgendwen Orientierung da draußen. Auf See. Und dann würde ein Schiff anlegen. Ein Dreimaster vielleicht, die Segel gerafft. „Ich habs gerafft“, grinste der Prinz mich an, der aussähe wie ein Aussteiger, den Rucksack auf dem Rücken und den Duft nach Lagerfeuer noch in den gelockten Haaren. Und ich würde sagen: Ich bin die Wächterin des Fokus, ich weiß wo ich hin muss. Jedenfalls heute und vielleicht morgen und übermorgen ziehen wir ins Lebkuchenhaus, nachdem wir die Hexe zum Teufel gejagt haben.

Wenn ich mutig wäre, würde ich aufstehen. Aus gemütlichen Sesseln an Fenstern, die zur falschen Richtung hinausgehen. Aufstehen, auch wenn es gerade gemütlich ist.  

Einfach heisst nicht leicht, würde ich mir sagen und gehen. Vielleicht in den Bioladen nebenan um zu fragen, ob sie einen Job für mich haben oder in den Häkelclub, wo ich die Topflappen häkeln würde, auf die meine Mutter heute noch wartet.

Ich würde aufhören zu warten. Darauf, dass ich mutiger werde, weil es aus dicken Wolken Mut herabregnet während ich mich dann doch verstecke, weil ich auf Schnee warte um Schneemänner zu bauen, denen ich dann Geschichten erzählen kann, an die ich selbst nicht glaube. Wenn ich mutiger wäre, würde ich aufhören meinen Mut zu suchen und wissen, dass er schon immer da war. Ungesehen, ungefunden aber da. Und ich weiß, wenn du heute nicht kommen willst, dann kommst du vielleicht morgen. Und wenn du heute nicht gehen kannst, dann eben bald. Ganz schön mutig.